Chiara Enderle

Mit etwa zwei Jahren hatte ich eine neue Babysitterin, von der ich etwas Angst hatte. Ich habe mich geweigert, mit ihr wegzugehen, während meine Eltern probten und habe darum gebettelt, zuhören zu dürfen. Meine Mutter willigte schliesslich ein, “Aber nur, wenn du ganz still sitzt!” Ich kann mich noch lebhaft erinnern, wie sich meine trotzige Miene in absolute Gebanntheit wandelte, als das Quartett anfing, Brahms‘ Klavierquintett zu proben. Dieses Stück bleibt bis heute eines meiner absoluten Lieblingsstücke..

Chiara Enderle wurde 1992 in eine Musikerfamilie in Zürich geboren. Ihre Eltern spielen 1. Geige und Bratsche im Zürcher Carmina Quartett, und so war Chiara beinahe von Geburt an auf allen Konzertreisen mit dabei. Auf diesen Reisen durfte sie miterleben, wie aufregend und erfüllend ein Musikerleben sein kann. So wuchs in ihr schon bald der Wunsch, selber an dem ganzen Spass teilzuhaben: Mit vier Jahren begann sie, Cello zu spielen.

Zu Beginn wurde sie von ihrem Patenonkel Joseph Hasten unterrichtet, der heute erfolgreiche Celloklassen in Tübingen und Stuttgart führt. Später wechselte sie zu Rebecca Firth am Konservatorium in Zürich. Jeden Sommer verbrachte Chiara am Friends Music Camp in Ohio (USA), einem Musiklager, das ihre Grossmutter gegründet hatte. Dort sammelte sie erste Erfahrungen im Kammermusik-, Orchester- und Solospiel.
Ihren ersten Wettbewerbserfolg feierte Chiara mit 11 Jahren, als sie einen 1. Preis am Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb erspielte. Mit 14 Jahren hatte Chiara ihren ersten Auftritt mit Sinfonieorchester, bei dem sie das Doppelkonzert von Brahms mit ihrem Vater aufführte. Kurz darauf begann sie mit dem Unterricht bei Thomas Grossenbacher, dem 1. Solocellisten der Tonhalle Zürich und Professor an der Zürcher Hochschule der Künste. Diese fruchtbare Zusammenarbeit sollte die nächsten fünf Jahre andauern und stattete Chiara mit dem nötigen Rüstzeug aus, um professionelle Musikerin zu werden.

Mit 17 Jahren besuchte Chiara zum ersten Mal die Meisterkurse am renommierten International Musicians Seminar Prussia Cove in England. Dort erhielt sie grosse Inspiration und Motivation durch den Unterricht bei Steven Isserlis, der in den Jahren darauf zu einem wichtigen Lehrer und Mentor werden sollte. Im Jahr 2012 war ein Szenenwechsel angesagt und Chiara wechselte von der Zürcher Hochschule der Künste an die Universität der Künste Berlin, wo sie schliesslich 2016 einen Master Instrumentalsolistin bei Professor Jens Peter Maintz absolvierte. Schon bald begannen sich Wettbewerbserfolge zu häufen, unter anderem zwei 1. Preise am Internationalen Lutoslawski-Cellowettbewerb in Warschau und am Pierre Fournier Award in London im Jahr 2013. Im selben Jahr machte Chiara ihr Debüt mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Kristjan Järvi, wo sie das Cellokonzert von Schumann spielte.

Sie wurde über mehrere Jahre durch den Migros Kulturprozents unterstützt und erhielt 2013 den Titel „Migros Kulturprozent Solistin“ verliehen. Seither hat sich Chiara zu einer gefragten Solistin und Kammermusikerin entwickelt.

Sie tritt regelmässig als Solistin mit namhaften Orchestern wie dem Philharmonia Orchestra (London), dem Münchner Kammerorchester, den Radio-Orchestern in Rumänien und Polen, der Kammerphilharmonie Potsdam und der Nationalphilharmonie in Warschau auf.

In der Saison 2016/17 spielt Chiara Solokonzerte unter anderem mit dem Musikkollegium Winterthur und dem argovia philharmonic, sowie diverse Rezitals und Kammermusikkonzerte in England, Schottland, Deutschland, Frankreich, Polen und den USA. Im Mai/Juni 2017 tritt sie als Solistin mit dem Tonhalle-Orchester Zürich im Rahmen der Migros Kulturprozent Classics Tournee auf. Im August 2017 spielt sie ein Debüt-Konzert am Lucerne Festival mit der Pianistin Hiroko Sakagami.

Chiaras erste CD, eine Einspielung des Cellokonzerts von Wranitzky mit dem Münchner Kammerorchester und Howard Griffiths, erschien 2016 bei Sony. Ihre zweite Aufnahme mit Solo- und Kammermusikwerken von Ernest Bloch kam 2017 auf den Markt.

Die Kammermusik liegt Chiara ganz besonders am Herzen und sie engagiert sich dafür, diese allgemein zugänglicher zu machen. Deshalb konzipierte sie die Konzertreihe „Musik im Morgental“ in Zürich, wo neben hochkarätigen Kammermusikkonzerten ebenfalls in Altersheimen und Schulen musiziert wird. Zudem ist sie Mitbegründerin der „Cello Springs Festival“ in Yellow Springs (USA), das verschiedene kreative Konzertformate mit gemeinschaftlichem Engagement kombiniert.
Als Kontrapunkt zu ihrem musikalischen Leben absolviert Chiara ihren Bachelor in Psychologie an der Fernuni Schweiz, den sie voraussichtlich im Sommer 2018 abschliessen wird.