3 junge Filmkomponistinnen über Blockbuster, Synästhesie und Inspiration

Prima Volta: Was reizt dich in Bezug auf deine Kompositionstätigkeit am Genre Filmmusik? 

Mirjam Schnedl: Für mich persönlich ist an Filmmusik das spannende, eine eigene Klangwelt für das Medium zu erschaffen. Und den Film so zu vertonen, dass die Filmmusik keine rein untermalende Funktion hat. Für mich ist Filmmusik dann geglückt, wenn sie eine eigenständige Ebene zum Film bildet – etwa indem sie eine Vorahnung verkündet, das Innenleben einer Person beschreibt oder einen Bogen über den ganzen Film schafft. Ich überlege mir vor jeder Vertonung sehr genau, wie ich die Musik dazu gestalten möchte: braucht es überhaupt Musik? Wie wird die Musik zum Mehrwert für den Film? Was kann die Musik ergänzen oder beschreiben, was im Bild allein nicht vorhanden ist? Schwäche ich die Emotion mit der Musik ab oder verstärke ich sie? Man kann einen Film auf verschiedenste Arten vertonen – darunter diejenige zu finden, die für den Film am besten funktioniert, ist die reizvolle Aufgabe der FilmkomponistInnen.

Xenia Wiener: Ein Film stellt immer wieder neue Aufgaben und zwingt mich als Komponistin auch manchmal aus meiner Komfort-Zone heraus. So hat man immer wieder die Chance sich an neuen Feldern auszuprobieren.
Am Genre Film- (oder Theatermusik) reizt mich ausserdem die enge Zusammenarbeit mit anderen Menschen.

Marylène Müller: I like the idea of different artists working together on a piece. Even if when I compose I work alone I like the fact that people worked on the movie, had a story to tell and that at the end it is a shared piece of art.

Prima Volta: Was interessiert dich – als junge Komponistin – daran, einen älteren Film wie Ménilmontant zu vertonen und nicht einen zeitgenössischen Blockbuster?

Marylène Müller: I think what was really interesting with Ménilmontant is that, although it was an old silent movie, it was possible to compose modern music. There is a lot of interesting shots where it gives room for the music to develop and for a composer, that’s great!

Mirjam Schnedl: Die grösste Challenge bei der Vertonung von Ménilmontant war für mich die fehlende Tonspur – und der Fakt, dass der Film am Schluss live aufgeführt wird. Dies ist meine erste Stummfilmvertonung. Da der Film keinen Dialog oder Sounddesign hat, steht die Musik viel nackter im Raum und muss auch für sich alleine überzeugen. Ansonsten reizen mich an Ménilmontant vor allem die ausdrucksvolle Bildsprache und das langsame Tempo – als Zuschauer hat man Zeit, sich auf das Bild einzulassen und die Eindrücke aufzunehmen. Als Komponistin hatte ich bei diesem Film die Möglichkeit, über eine längere Zeit eine musikalische Stimmung aufzubauen. Das Bild lässt der Musik Zeit, sich selbst zu entfalten und die Filmmusik kann so eine eigenständige, zweite Ebene zum Film zu bilden. Bei den heutigen Blockbustern ist das Schnitttempo extrem schnell und hektisch, die Musik hat oft nur eine Underscoring-Funktion – das bedeutet, dass sie lediglich das Geschehen im Film verdoppelt. Ménilmontant wirkt im direkten Vergleich zu einem Blockbuster sehr ruhig und gemächlich. Ich mag Filme, die sich Zeit lassen und eine kunstvolle Bildsprache beherrschen – solche Filme werden heutzutage glücklicherweise weiterhin noch produziert, wie zum Beispiel „Phantom Thread“ (2017) oder „Leave No Trace“ (2018), zwei meiner Lieblingsfilme.

Xenia Wiener: Bei einem Film wie Ménilmontant finde ich es interessant mit der Idee der traditioneller Stummfilm-Musik zu spielen, aber auch bewusst aus diesem Genre auszubrechen und somit einen Kontrast zu schaffen. Da der Inhalt nicht durch Text übertragen wird, ist die Art des Schauspielens sehr expressiv und bietet somit der Musik viel Platz sich auszubreiten und zu experimentieren.
Deshalb ist für mich der Reiz eines solchen Filmes grösser, da ich künstlerisch freier bin. Nicht zuletzt, da bei einem Blockbuster viel auf Verkaufstauglichkeit des Filmes gesetzt wird.

Prima Volta: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Schränkt das Medium Film die kompositorische Freiheit eher ein oder beflügelt es die Fantasie?

Xenia Wiener: Für mich haben Musik und Bild schon seit Kindesalter zusammengehört. Als Synästhetikerin habe ich beim Musikhören schon immer Farben gesehen – und umgekehrt haben Bilder in meinem Kopf Klänge ausgelöst. Deshalb habe ich bei Filmen fast immer sofort eine musikalische Assoziation – was äusserst praktisch für die Kompositionsarbeit an sich ist. Ich selber finde es zum Beispiel viel anspruchsvoller, absolute – also für sich selbst stehende – Musik zu komponieren. Der Film gibt der Musik einen Rahmen, in dem sie aber ihr Eigenleben hat.

Marylène Müller: I think it can be both. Personally for this composition, it gave me a frame and in this frame I was free to compose. Sometimes when there is no restriction it is harder to compose, because you can do anything and that also can be scary… where do I start? What is the form…etc.

Mirjam Schnedl: Beides. Bilder inspirieren mich immer, es ist mir aber auch schon passiert, dass ich Musik geschrieben habe die mir gefiel, aber leider kam sie nicht richtig mit dem Bild zusammen. Das ist ärgerlich, aber dann kann man die Idee für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren.